Auf einer Reise

Wo und wann fängt man denn da an? Dann, wenn das Herz hüpft? Oder besser dann, wenn das Herz schwer in der Brust ruht und von innen an die Wände klopft und drückt? Ich fahre gerade im EuroCity weit in den Osten, um eine beste Freundin zu besuchen. Soweit, wie es sich noch okay anfühlt in Zeiten, in denen jeden Tag Europäer aus dem Osten auch in meine Stadt flüchten. Auf der Fahrt, die Erholung sein soll, freue ich mich, dass er beim Mittagessen zu Hause mit dem Nachbarn im Garten ein bisschen frische Luft und Sonne abbekommen hat. Was für mich selbstverständich ist, sind für ihn Ausnahmen, oder Dinge der Unerträglichkeit. Bei jeder Gelegenheit raus und in die Sonne, Menschen treffen und kennenlernen, verreisen, Sport,… die Liste ist unendlich. Vieles, was er nicht machen kann und was ich gern tue, will er wahrscheinlich gar nicht. Einiges schmerzt vielleicht dennoch. Ob ein Besuch in Ostrava und ein Mädelswochenende dazugehören würde, wage ich zu bezweifeln. Aber sich prinzipiell „frei“ bewegen zu können und auch spontan die Tapeten zu wechseln, halte ich für einen Grundimpuls, dem man nachgehen können sollte.

Seitdem er Weihnachten vor drei Jahren entschieden hatte, in dieser Welt den eigenen Lebenssinn nicht mehr zu erkennen, ist die Welt noch mehrmals aus den Fugen geraten. Und ich bin so froh, dass ich all das mit ihm erleben und besprechen konnte. „Was mein Leben reicher macht“ – ich liebe diese Spalte auf der letzten Seite der ZEIT. Und mir fielen jede Woche Worte ein dafür. Unser Kontingent für einen prominenten Auftritt in der Lieblingszeitung ist aber möglicherweise für eine Weile schon ausgeschöpft.

Seit drei Jahren hoffe ich, dass wir etwas mit unserer Geschichte machen. So gewöhnlich und gleichzeitig außergewöhnlich sie ist. Ich schreibe Tagebuch und klebe ausgedruckte Fotos vom Handy ein, um mich gut erinnern zu können und der haptischen Veranlagung zu folgen. Eines Tages wird das vielleicht wertvoll sein. Viel wertvoller allerdings finde ich das, was im Kopf geschieht und was seinen Ausdruck nicht in einem verwackelten Bild mit leidenschaftsloser Frisur findet. In seinem Kopf passiert viel. Viele kluge Dinge werden da gesagt. Seine Intelligenz in Verbindung mit logischer Abstraktion und hohem moralischen Anspruch ist für unsere Familie außergewöhnlich, und lehrt mich. An ihm ist vielleicht ein  Mathematiker oder Naturwissenschaftler verloren gegangen, zumindest jemand mit dem Potential die Welt durch kluge Gedanken zu einem besseren Ort zu machen. So bleibt ihm nichts, als meine Welt zu einem besseren Ort zu machen.

An dieser Stelle wollen wir erzählen, vielleicht nach und nach die Geschichte aufrollen, die uns erst getrennt und dann wieder zusammengeführt hat. Vielleicht auch nur über Alltägliches lästern. Wohin die Reise geht, haben wir nicht besprochen. Aber er ist da, der Blog für Bruder und Schwester. 3,2,1…

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