„Nach der OP ist vor der OP“

Samstag, den 03.06.2017

Ich wurde wach. Nicht langsam dämmrig, wie ich es vermutete. Ich war wach. Fit. Gut beisammen. Ich hörte wie eine Krankenschwester etwas vor sich hin murmelte ‘Chaoten! Alles Chaoten!’ Ich schaute mich um, das musste wohl der Aufwachraum sein. Die netten Leute, die mich hier so unsanft reingeschoben haben, sind grad raus. Also frag ich die aufgebrachte Schwester was los sei, sie bekommt einen Schreck, wundert sich, dass ich schon munter bin, da erzählt sie mir von der Terroeverdachtsmeldung bei Rock am Ring, fragt ob ich davon nichts gehört hab. Ich erklärte ihr, dass ich bis eben auf dem OP Tisch lag, da dämmerte es ihr auch. Davon kann ich nichts wissen. Also erklärt sie mir was los war, nur folgen kann ich ihr nicht. Je mehr ich mich konzentrierte, desto schwieriger wurde es und umso mehr musste ich mich konzentrieren. Ein Teufelskreis. Kurz darauf wurde ich auch schon abgeholt und auf die Intensivstation gebracht. Schön war es dort. Überall ein fröhliches Gepiepse und lebensbejahende Schmerzenschreie von dementen Oatienten, die nicht wissten wo sie sind. Zwischendurch wurden Bettpfannen verteilt, was ich dankend ablehnte. Essen durfte ich noch immer nichts. Nach langer Diskussion bekam ich Tee, drei Scheiben Zwieback und drei Scheiben Knäckebrot. Toll. Später stand eine übermäßig glückliche Schwester an meinem Bett. “Herr R., ich hab tolle Nachrichten für Sie!” strahlte sie vor Glück. “Ich darf nachhause?!” strahlte ich zurück. “Neeeiiiin!” lachte sie. Keine Ahnung was ich so lustiges gesagt hatte. “Wir haben mit dem Chefarzt gesproche und Sie dürfen jetzt wieder Vollkost essen.” Ok, das waren gute Nachrichten, mein Magen hing schon bis zum Boden. “Super! Immer her damit, ich hab Kohldampf! Was gibt es denn?” Da lacht sie schon wieder. “Nichts! Abendessen gibt’s erst 18 Uhr.” Nach einiger Zeit der Überredubgsversuche bekam ich dann zumindest noch ein paar Scheibchen Zwieback. Damit hielt ich den Magen bis zum Abendessen halbwegs bei Laune. Immer wieder traten andere Ärzte an mein Bett. Prüften meine Vitalwerte. Schauten mich fragend an. Einen hab ich wieder erkannt, er erklärte mir vor der OP die Risiken der Narkose und bettelte um Einverständnis, dass meine Frisur verunstaltet werden darf. Die Frage, ob das alternativlos gemacht werden müsse, bejahte er, also verstand ich die Frage nicht. Jedenfalls stand er da, schaute auf meine Monitore wie ich auf den Fernseher. Irritiert. Verwirrt. Verständnislos. Loef da etwa auch so viel Mist und ständig Werbung? “Sie wurden doch gerade erst operiert? Wieso sind Sie denn schon wieder so fit?” Gute Idee mich das zu fragen, schließlich bin ich der studierte Mediziner und Narkosesoezialist von uns beiden. “Wie geht es Ihnen?” Ich hab Hunger. “Schmerzen?” Bei der Dröhnung? Nee, is klaa! “Was macht das Gleichgewicht?” Ich liege hier, fest ans Vett verkabelt. Das sag ich dir, wenn ich aufstehen darf! Er sagte mir dann noch, dass er sich bei aller Verwunderung sehr über meinen Zustamd freut und dass alles soweit gut verlaufen ist. Das waren schon mal wesentlich mehr Infos, als aus den anderen Weißkitteln zu holen war. Versteht mich nicht falsch, die machen dort einen super Job, aber scheinbar wollte mir niemand ein Arztgespröch nach der OP zumuten. Oder es hat stattgefunden und ist mir entfallen, ich kann es wirklich nicht sagen. Zumindest war ich nach der OP stabil, das beste Pferd im Stall, wie es der Nachtpfleger ausdrückte. Trotzdem musste ich einen Tag länger als geplant auf der Intensiv bleiben, weil nach der OP eine Hirnblutung entstand. Nicht schlimm. Kann passieren. Muss eben beobachtet werden. An schlaf war jedenfalls nicht zu denken. Nicht bei der Geräuschkulisse. Schon gar nicht bei der Ungewissheit. Lief wirklich alles gut? Konnte der Tumor rückstandslos entfernt werden? Letzteres konnte mir bis heute niemand sagen, das wird die Zeit zeigen.

Montag, den 05.06.2017

Ich wurde zurück auf die Station Pflege Neurochirurgie verlegt. Noch immer ans Bett gefesselt, dafür sorgte der Katheter, aber auch sie Schwestern. Als diese mir auch eine Bettpfanne aufqzatschen wollten, reichte es mir. Ich wollte das nicht. “Nix da! Ich kann mich bewegen. Ich kann zur Toilette gehen. Ich kenn den Weg!” Überzeugt. Ich durfte aufstehen. Eine Schwester nahm den Beutel des Katheters und ich durfte mich erheben. Aufrichten klappte scjon mal ganz gut. Es war wahnsinnig anstrengend und mir wurde schwummrig im Kopf, aber der Wille war stärker. Laufen. Allen zeigen, dass ich es kann und dann endlich eine rauchen gehen! Ich rutschte an die Bettkante. Nicht mal nach einem Saufgelage war ich so unkoordiniert und unbeholfen. Die Füße in die Latschen. Beim fünften Versuch hatte ich sie dann an. Und aufstehen. “Das klappt schon, ich kann das doch allein!” sagte ich leichtsinnig, stand auf und begann unzukippen. Sie Schwester hiekt mich und ich verstand die Welt nicht mehr. Wenn man solche Kleinigkeiten, die man immer als selbstverständlich sah, plötzlich einfach nicht mehr hinbekommt, ein echt seltsamrs Gefühl. Also stützte mich die Schwester, weil ich partout nicht aufgeben wollte und in 2mm Mäuseschrittchen schlurfte ich schwankend Richtung Tür. Ein echtes Trauerspiel für mich, aber ich musste mich endlich bewegen. Einmal Bad und zurück. Ein Weg von insgesamt viellicht 15 oder 20 Metern, dauerte effektiv knapp 20 Minuten. Immerhin schaffte ich den Rückweg allein, aich wenn ich ein paar Meter eher kroch als lief. Zurück ins Bett, den Kopf ablegen, verschnaufen wie nach einem Marathon. Und dann auf’s Neue versuchen. Immer wieder. Stündlich merkte ich wie es besser klappte. Also hatschste ich einer Schwester hinterher, von der ich wusste, dass sie raucht. Wolöte, dass sie mich begleitet, falls ich mich doch nicht halten kann, aber “Sie sind doch mobil! Wenn sie mir hinterher rennen können, dann können Sie auch eine rauchen gehen. Ich vertrau Ihnen!” Das war doch mal eine Ansage, schnell zurück ins zimmer, Kippen holen und die Lunge einräuchern! Drei Tage nicht geraucht, ich dachte beim ersten Zug kippe ich aus den Latschen, die ich so mühevoll angezogen hatte. Falsch gedacht, es schmeckte, tat gut, der Nikotinspiegel stieg langsam wieder. Nach der vierten Zigarette machte ich mich auf den langem Rückweg und merkte, dass ich zwar nur langsam und schwer voran kam, aber ich war eigenständig mobil, gut, so mobil wie ein Faultier im Tiefschlaf, aber immerhin! Die Sucht hielt mich am Laufen, wortwörtlich. Also lief ich. Und wie ich lief! Ich oendelte immerzu zwischen Raucherzone und Bett. Das beste Training. Mit sichtbaren Fortschritten. Sowas baut einen richtig gut auf!

Dienstag, den 06.06.2017

Ich bin nicht sicher, aber ich glaube am Dienstag sollte ich dann zum Ultraschall des Bauchraums. Niemand wusste wieso, später erklärte mir die Ärztin, dass es eine Routineuntersuchung sei, um ein sehr seltenes Syndrom auszuschließen. Dieses kann solche Hirntumore wie den meinen verursachen und wärde auch innere Organe mit Zysten & Co. befallen, aber die Wahrscheinlichkeit liegt bei unter einem Prozent, zumal dieser Gendefekt in meiner Familie auch noch nie aufgetreten ist. Jedenfalls wurde der Ultraschalltermin zurückgewiesen, keine Kapazitäten, die Kollegen der Inneren Medizin sollten das übeenehmen. Toll. Umsonst nüchtern geblieben. Erstmal eine rauchen! 

Die folgenden Tage und geschehnisse bringe ich vom zeitlichen Ablauf her nicht mehr in die richtige Reihenfolge, fürchte ich. Aber ich versuche einfach mal es halbwegs richtig zusammenzufassen.

Einige Tage und ein paar andere Untersuchungen später also der neue Ultraschalltermin. Ichlag auf der Pritsche, mein Bauch wurde mit kaltem Gel vollgeschmiert, der Arzt drpckte mit dem Gerät auf mir rum und schaute konzentriert auf einen Monitor. “Was wird es denn? Junge oder Mädchen?” Mein Humor hat jedenfalls nicht gelitten. “Weder noch.” sagte der Arzt und ergönzte trocken “Zysten.” Als ich ihn dann fragte wieviele Mäuler ich denn dann künftig zu stopfen hätte, drehte er den Monitor zu mir. “Sehen Sie selbst.” Es mangelte mir an Konzentration, tut es immer noch, aber ich versuchte es und bekam einen Schreck. Jedes Organ, das er mir zeigte, wies mehrere Zysten auf. Diese Scheißdinger haben nichts ausgelassen. Er die Zysten vermessen, mal unscheinvar kleine, mal verflixt große. Eine Gefahr stellen sie zunächst nicht dar, wie er sagte. Also zurück auf Station. Eine gute Woche nach der OP wurde ich dann jedoch auf die Station für Innere Medizin verlegt, vorher teilte man mir mit, dass es sich offensichtlich tatsächlich um das seltene ‘von Hippel Lindau Syndrom’ handelt. In der Konstellation und dem Ausmaß wie bei mir, sei der Lottojackpot wesentlich wahrscheinlicher. Na geil! Wieso hab ich dann nur 2,50€ im Lotto gewonnen? Jedenfalls seien die Internisten sehr interessiert an dem Fall. Klar, sehen die ja auch nicht jeden Tag. Dort behandelte mich ein junger Arzt. Durchaus engagiert und versteht was von seiner Arbeit. Jedoch versteht er nichts davon wie ich zu fremden Menschen stehe. Er meinte es wohl gut, als er mir aufmunternde Worte sagte und dabei meinen Rücken streichelte. Mir wird jetzt noch ganz schlecht, wenn ich daran denke. Mein Blick machte ihm das auch klar und ich erklärte ihm, dass mich jede Berphrung mit Fremden viel Kraft und Überwindung kostet und er das doch bitte unterlassen soll. Selvst auf der Intensivstation habe ich verweigert, dass die Schwester mich wäscht und das lieber unter Schmerzen selbst getan. Zwei Tage später etwa kam besagter Arzt in Begleitung eines Urologen. Er hätte Neuigkeiten. Er stützte sich an die Wand, sein Blick war traurig, ich konnte eine Träne erkennen. “Du hast Nierenkrebs. Beidseitig. Deswegen ist mein Kollege aus dem Klinikum in Kröllwitz heute dabei.” Dieser erklärte mir die Unstände. Krebsgeschwüre in beiden Nieren. Ungünstig gelegen, von Zysten umgeben. Eine OP wäre schwierig, aber notwendig und man wprde versuchen wenigstens eine Niere zu retten, könne es aber nicht garantieren. Ein harter Schlag, aber immerhin ist es operabel. Die zwei erzählten und erklärten noch einiges mehr, wad ich jedoch bereits nach zwei Minuten vergessen hatte. Mein Kopf war einfach nicht aufnahmefähig. Sie würden noch einige Tests machen und dann gäbe es ein weiteres Gespräch. Aber meine Nierenfunktion sei erstaunlich gut. Sie liege bei fast 100%, obwohl das CT wesentlich schlechtere Werte vermuten ließ.

Ein weiteres Mysterium, das niemand so ganz verstand, aber gern akzeptierte. Zuvor sagte mir der Chefarzt, es sei ein Wunder, dass ich vor der OP überhaupt noch laufen und halbwegs klar denken konnte, dass ich mein Leben hab leben können. Auch dass ich die Narkose und generell die OP so gut wegsteckte und so schnell wieder auf den Beinen war, fand er “sehr erstaunlich”. Naja, was macht man nicht alles um eine zu rauchen, nicht wahr?

Wiederum ein paar Tage später kamen Internist und Urologe zu mir. Man wprde von einer OP vorerst absehen. Die Chance auch nur eine Niere zu retten beträgt im Moment nicht einmal 5%. Der Krebs ist zu groß und zu nahe bei den Zysten, welche auch verhindern, dass man nur einen Teil der Niere entfernt. Also müsse man versuchen den Krebs gezielt zu schrumpfen. Durch Chemo. Die wird wahrscheinlich kommenden Dienstag beginnen, da hab ich zunindest das Auftaktgespräch und vernutlich wird es dann auch gleich losgehen.  Zehn Wochen soll die erste Chemo dauern. Spricht der Krebs positiv darauf an, macht man damit weiter bis eine OP weniger gefägrlich ist. Spricht er nicht an, gibt es eine andere Chemo in Verbindung mit Bestrahlung. Tolle Aussichten! Am 20.06. wurde ich also nachhause entlassen und sollte noch ein paar normale Tage genießen, da ja auch keiner vorher sagen kann wie ich die Chemotherapie vertragen werde. Normal allerdings ist anders. Ichsutze hier und warte der Dinge, die da kommen werden, grüble, denke nach, normal ist anders. Seit dem Samstag vor meiner Entlassung fange ich an alles zu realisieren, es mir bewusst zu machen, brach mehrfach zusammen. Konnte nicht mehr. Wollte nicht. Morgen habe ich endlich einen Termin beo meinem Psychiater, in der Hoffnung, dass er mir etwas helfen kann wieder nach vorn zu sehen. Bis dahin sitze ich den ganzen Tag auf dem Balkon, rauche, höre Musik und versuche meine Gedanken so gut es geht zu ignorieren.

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