„Sind doch nur Kopfschmerzen!“

Über ein Jahr habe ich mir und anderen das immer wieder gesagt, nicht bemerkt, dass die Kopfschmerzen immer häufiger und heftiger kamen. Dass Paracetamol, Ibuprofen & Co. immer weniger Wirkung erzielten darauf geschoben, dass ich ja auch schon lange relativ viel davon nahm. Und generell reagiert mein Körper fast schon resistent auf Schmerz- und Betäubungsmittel, also nimmt man die Schmerzen hin, man arrangiert sich mit ihnen, lebt damit. Etwa im März fing es damit an, dass mir ab und zu mal schwindelig wurde. Das schob ich leichtsinnig auf meine Höhenangst, die ist zwar nur schwach ausgeprägt, aber auf einer wackeligen Leiter wie auf Arbeit massiv. Also hab ich dieses Anzeichen auch nicht ernst genommen – selbst schuld. Allerdings wurde die Gleichgewichtsstörung, wie auch der Kopfschmerz, immer schlimmer und trat wesentlich öfter auf. Also ging ich Anfang Mai zu meinem Hausarzt. Bluthochdruck, ok, ist nix neues, Blutbild in Ordnung, Reflexe gut, kein Infekt, keine sonstigen Probleme, im Grunde war ich kerngesund. Eine Brille sollt ich mir zulegen, “davon werden die Kopfschmerzen und Schwindelanfälle wieder besser!” Ab zum Optiker -1 und -1,5 Dioptrin. Problem erkannt! Brille bekommen, wieder Durchblick gehabt, doch die Probleme blieben und keiner wusste wieso. Von Arzt zu Arzt geschickt, durch die Blume als Simulant bezeichnet, von Kollegen sogar direkt so betitelt wurden. Dann endlich einen MRT Termin bekommen. Der Hausarzt wollte nach dem Ausschlussverfahren vorgehen um die Ursache meiner Probleme zu finden. Vom MRT hat er das selbe erwartet wie vom Röntgen: Alles i.O. – Falsch gedacht! Nicht einmal eine Stunde nach dem MRT kam der Anruf. “Es ist alles ok, Sie müssen sich keine Sorgen machen! Es gibt nur eine kleine Auffälligkeit im MRT, die kann ich als Allgemeinmediziner nicht beurteilen, das muss sich ein Spezialist ansehen. Aber Sie müssen keine Angst haben, es ist alles gut. Sie müssen nur ganz dringend heute noch in die Notaufnahme!” Auf die Nachfrage wieso dann so dringend Notaufnahme erfuhr ich, dass dort eine gute Neurochirurgin Dienst hat, diese hat die Bilder geschickt bekommen und kennt sich da halt besser aus. Ok, also ab zur Notaufnahmen, leichte Freude macht sich breit, vielleicht kennt man ja nun endlich mal die Ursache des Problems und siehe da! Sie haben einen Tumor, der das Hirnwasser am abfließen hindert. Kleiner Tumor, große Wirkung. Der Tumor selbst war nur etwa 2-3cm lang. Allerdings hatte sich eine bedenklich große Menge Hirnwasser angesammelt, weit mehr als 3cm Hirnverdrängung. Das Hirn wurde einfachweg gedrückt. Gut, dacht ich, sie sagt es ist operabel, man kann was dagegen tun, es geht wieder bergauf. Dass die Neurochirurgin mit meinem Hausarzt abgesprochen hat, dass sie mich gleich stationär aufnimmt, dass hat mir vorher keiner gesagt. Also gab es erstmal eine Riesendiskussion. Ich musste nochmal los, nachhause, meine Katzen irgendwo gut unterbringen. Die Prioritäten waren gesetzt, der Tumor erstmal zweitrangig. Während ich nach einer Bleibe für die Fellnasen rumtelefonierte, telefonierte die Chirurgin mit ihrem Chefarzt. Laut. Wilde Diskussion. Sie dürfen nochmal gehen, aber müssen mir hoch und heilig versprechen, dass Sie wiederkommen! Ja, klar, ok, aber wieso? Weil wir sonst beide am Arsch sind. (Ja, das waren ihre Worte, das wird ich nicht vergessen) Hm? Ich verlier sonst meinen Job und Sie könnten umfallen und nicht mehr aufstehen. ‘Ok, ich pass auf’ sagen und nur ‘Ja, na klar! Wird mal dramatisch! Ging doch bis jetzt auch alles’ denken. Katzen ins Katzenhaus gebracht, (dort sind sie im Moment noch zur Pflege, weil ich noch nicht allein klarkomme und momentan noch bei meiner Mutter bleibe, dazu aber später mehr) abends zurück in die Notaufnahme und dann gleich auf die Station für Neurochirurgie. Ab Mitternacht nüchtern bleiben, 9 Uhr OP Termin. Eine Not OP, wie ich später erfuhr, deswegen war auch alles pünktlich, egal wieviele andere Notfälle das Klinikum rein bekam. Aber auch dazu später mehr. So lag ich also die erste Nacht im Krankenhaus und wollte einfach nur schlafen, aber stattdessen kamen gefühlt alle 10 Minuten Krankenpfleger und -Schwestern ins Zimmer, machten mich wach, einmal in die Augen leuchten und Blutdruck messen und wieder raus. Ganz schön nervig, aber Anordnung des Chefarztes.

Samstag, den 03.06.2017

Morgens geweckt werden und wieder die selbe Leier. Blutdruck und einmal Casablanca – Schau mir in die Augen, Kleines! Danach bekam ich schicke Halterlose, strahlend weiß und hauteng. Die Schwester nannte sie zwar Thrombosestrümpfe, aber für mich waren es die nächsten Tage die einzigen Dessous, die ich sehen und fühlen würde. Eben meine Strapse! Dazu gab es einen sexy weißen Netzschlüpper und ein neckisches Negligee, sogar rückenfrei. Als die Modeschau beendet war, ging es zurück ins Bett und damit direkt zum OP. Ein wenig mit den Leuten dort gequatscht, wohl ein wenig viel, die haben mir nämlich ganz schnell einen luftbetriebenen Maulkorb aufgesetzt. Jetzt tief einatmen, es gibt erstmal Sauerstoff! Ich atme ein, ich atme aus. Ich atme wieder ein, es schmeckt leicht metallisch und wieder aus. Danach erinnere ich mich nur noch daran, dass ich ein drittes Mal eingeatmet hab, dann war ich im Traumland auf dem Weg in Ungewisse.

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