Am Gartentisch mit Moritz von Uslar

Im letzten Jahr folgte ich dem Aufruf der ZEIT, die aufrief zu ihrem 75-jährigen Jubiläum Gedanken für eine bessere Zukunft zu teilen. Mir fiel ein, dass auch wir beide in diesem Jahr zusammen 75 Jahre alt wurden, und so schrieb ich ein paar Zeilen mit der sicheren Erwartung, im Nirgendwo zu landen. Wenige Wochen später meldete sich Moritz von Uslar, Reporter der Wochenzeitung DIE ZEIT, wie er sich bezeichnete.

„Eine Lebenserwartung von maximal eineinhalb Jahren ließ seine Existenz, die er sich aufgebaut hatte, plötzlich in sich zusammenfallen. Völlig entmutigt vom Leben und in ständigem Schmerz wollte er die Reißleine ziehen. Stattdessen zog er zu mir, obwohl wir kaum mehr Verbindung zueinander hatten. Sein zweites Leben beim Zocken ist Teil unserer Geschwister-WG, lange Gespräche und die Domestizierung der Hofkatzen ein anderer. Die Tumore sind lange Zeit gar nicht gewachsen. Auch wenn wir nicht wissen, wieviel Zeit uns bleibt, wissen wir die Zeit, die wir gemeinsam schon hatten zu schätzen. Es ist kein Zeichen von Schwäche Hilfe anzunehmen. In meinen Augen war es eine starke Entscheidung. Den Rest schaffen wir gemeinsam.“ Schrieb ich dem Aufruf folgend.

Moritz wollte eine „Deutschlandreise zur Leserschaft“ machen und die Menschen kennenlernen, die hinter den Geschichten stehen. Ich war wirklich unsicher, wie Tobias reagiert und sehr überrascht über seine rasche Offenheit. Uns war klar, dass Fragen aufkommen, die wir uns vielleicht selbst noch nicht zu stellen getraut haben. Und wir hatten richtig Lust darauf!

Moritz stiefelte eines schönen Mittwochs in unseren Garten. Corona-konform trafen wir uns draußen, zum Glück an einem sehr milden Apriltag. Er hatte ein kleines Aufnahmegerät dabei und beobachtete alles ganz genau: die Nachbarin am Spielhaus, die Hasen, was ich auf den Tisch gestellt habe. Abwechselnd fragte er uns, provokativ, um die Ecke denkend, einfühlsam. „Was gibst du ihm? Was gibt er dir?“ und „Was gibst du ihr? Was gibt sie dir?“ Ich merkte, dass mir die Antworten leicht fielen und ich meine Gedanken der letzten Jahre nur aussprechen musste, Tobias hat ein bisschen gebraucht. „Ähm, Technik?“ Manches haben wir auch erzählt, mit der Bitte nicht darüber zu schreiben. Anderes war so klar, dass wir uns sogar entschieden unsere echten Namen zu verwenden. Mit „Lena und Markus“ konnten wir nicht warmwerden, es hätte uns die Geschichte genommen.

Schließlich verbrachten wir ein paar Stunden zusammen in unserem Garten, stellten uns den interessierten und direkten Fragen eines Menschen, der uns nicht kannte, aber wirklich kennenlernen wollte. Zwischenzeitlich verschwand er, weil er uns etwas Gutes tun wollte. Er lief zur Tankstelle um die Ecke, kaufte Tobias eine große Packung John Players und uns allen ein Eis. Moritz blieb ein paar Stunden, nahm sich Zeit zum Plaudern und teilte später einige seiner Notizen mit uns, die es nicht in den Artikel geschafft haben. Ich erinnere mich noch an Tobias‘ hochgezogene Augenbrauen, als der Artikel das erste Mal vorgelesen wurde. Frappierend… Es entstand ein flapsiger und ehrlicher kurzer Artikel, der eine besondere Außensicht vermittelt, die wir in unserer Blase so nicht bekommen. Und damals zeigte er genau die Welt, in der wir lebten, unvermittelt und nahbar.

Der Artikel selbst liegt leider hinter einer Paywall, kann aber hier abgerufen werden: https://www.zeit.de/2021/23/reise-deutschland-moritz-von-uslar-zeit-besuch-leser, unser Beitrag macht den Anfang mit „Eine Runde Mittagschlaf“ [Veröffentlichung in der ZEIT Online am 6.6.2021]

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